Presse
Ausstieg aus der Rosenau
Aufzeichnungen aus einem Interview mit Matthias Holtmann
H
Johannes Zeller, Sie haben die Stuttgarter Lokalität "Rosenau" 1994 eröffnet. Jetzt ziehen Sie sich aus der Rosenau zurück. Haben Sie keine Lust mehr oder ist Ihre Lebensmaxime "eher wenn’s am Schönsten ist, soll man aufhören"?
Z
Ich höre nicht auf, sondern ich gebe ab. Das geschieht auch nicht nach dem Lustprinzip. Ich suche neue Aufgaben.
H
Sind Sie vom Selbstverständnis her ein Impressario, Veranstalter oder sind Sie mit Leib und Seele Gastronom?
Z
Ich bin gerne Gastgeber, sehe mich allerdings nicht als Wirt. Veranstaltungen und Organisation sind viel eher die Bereiche, in denen ich meine Kernkompetenz sehe. Sicherlich habe ich einige Künstler auf ihrem Weg begleitet, allerdings würde ich es bislang zumindest noch nicht wagen, mich selbst als Impressario zu bezeichnen
H
Sie haben nach dem Gymnasium eine landwirtschaftliche Lehre absolviert, habe ich Ihrer Biographie entnommen, hat Ihnen das genützt im Bereich Veranstaltungen?
Z
In der Landwirtschaft habe ich gelernt, nicht nach der Uhr zu arbeiten, sondern die anfallende Arbeit zu bewältigen. Dann kommt in der Landwirtschaft natürlich das erhebende Gefühl dazu, ernten zu können, was man selbst gesät hat. Ich glaube auch in den jeweiligen bäuerlichen Betrieben, das Teamwork gelernt zu haben. Jeder ist auf den anderen angewiesen. Fällt einer aus, muss die Arbeit vom anderen mitgemacht werden. Keine Arbeit kann liegen bleiben, besonders während der Ernte. Darüber hinaus habe ich natürlich die Natur schätzen und lieben gelernt.
H
1986 Eröffnung des Szenelokals Casino: das war schon kein jetzt kein normaler Kneipenbetrieb mehr, sondern bereits der erste Impuls, der Stuttgarter Gastronomie eine neue Richtung zu geben. Welche Richtung?
Z
Stuttgart hatte 1986 recht wenig Szene-, heute würde man sagen Trendgastronomie. Unser Anspruch war, der Stadt Stuttgart mehr Urbanität zu verleihen. Wir waren oft unterwegs in Berlin, in Hamburg und hatten dort natürlich viele aufregende Szeneläden gesehen. Was ist schöner als der traditionellen Gastronomie und den bierseligen Studentenkneipen etwas entgegenzusetzen?
H
Meiner Erinnerung nach war "Das unbekannte Tier" Anfang der 90er eine dunkle Höhle mit brüllend lauter Musik. Rappelvoll mit Menschen, die den Eindruck einer eingeschworenen Clique vermittelten. Etwas misstrauisch gegenüber allen, die da so rein kamen, besonders wenn die nicht ihrer Altersgruppe angehörten. Es war weit mehr als eine normale Disco. Bis heute Kult, obwohl es den Laden gar nicht mehr gibt. Was war eigentlich das Geheimnis vom "unbekannten Tier"?
Z
Das Geheimnis dieses Ladens war, dass wir zur richtigen Zeit am richtigen Ort waren. Erneut hatten wir – ich war im unbekannten Tier ebenso wie im Casino in einer Partnerschaft – urbanes Lebensgefühl getroffen, das es in dieser Form vorher in Stuttgart nicht gab. Wir haben das Schubladendenken unterlaufen; plötzlich trafen sich die Killesberg-Babys mit den Heslacher Kellerkindern. Designer und Landschaftsgärtner standen nebeneinander an der Bar und haben friedlich ein Bier geschlürft. Die unterschiedlichsten gesellschaftlichen Schichten sind sich fast ohne Berührungsängste begegnet. Es hat sich was bewegt in Stuttgart. Die grösste Berührungsangst hatte eigentlich die Stadtverwaltung. Denen war das nicht geheuer. Ich erinnere mich bestens, als wir beim "Amt für öffentliche Ordnung" unsere Öffnungszeiten bekannt gaben und sagten, wir öffnen abends um 22.00 Uhr, da war der Beamte völlig perplex. Er sagte, "Ja wo gibt’s denn so was, um die Uhrzeit gehe ich ins Bett" und überhaupt wüsste er nicht, ob er das genehmigen könne.
H
Wenn man mit Leuten aus der Szene über Stuttgart spricht, dann hat man den Eindruck alle sind erstaunt, dass sich in Stuttgart überhaupt noch was bewegt. Bewegt sich in Stuttgart schwieriger etwas als in Hamburg, in Berlin, in Ravensburg oder in Bad Öhenhausen?
Z
In Bezug auf die Szenegastronomie hat sich in den vergangenen Jahren in Stuttgart sehr viel bewegt. Da kann sich diese Stadt mit jeder anderen Grossstadt der Republik messen. Obwohl mittlerweile eine grosse Vielfalt vorhanden ist, kämpft Stuttgart seltsamerweise immer noch mit seinem Image.
H
Was ist denn das für ein Image, mit dem Stuttgart kämpft?
Z
Ich glaube Stuttgart kämpft mit dem Image, nach wie vor ein grosses Dorf zu sein. Wobei ich selbst das eigentlich eher als einen gewissen Charme empfinde. Die Stadt hat keinen oberflächlichen oder anonymen Charakter. Man kennt sich untereinander, die Strukturen sind eng und gewachsen. Obwohl, vielleicht fehlt es noch an der richtigen Verzahnung zwischen Stadtverwaltung und Kreativen.
H
In der Rosenau fand ab 1994 dann endgültig die Zusammenführung von Bühnenkultur und gehobener Gastronomie statt: Venue, Bühne, Bar, Restaurant, überschaubar, intim und von seiner Citylage eigentlich ein absolut idealer Laden.
Z
Ja, finde ich auch. Genau das hat mich damals auch gereizt.
H
Die Rosenau war ja nie eine lokaler Szeneladen, sondern war immer bemüht, überregionale Künstler nach Stuttgart zu holen. Desiree Nick war mehrfach in der Rosenau, Uli Keuler, eine der Legenden schwäbischer Kabarettkultur, Michael Mittermaier, der heute in aller Munde ist, Ingo Appelt hat sein goldenes Schild "ficken" zum erstenmal in der Rosenau hochgehalten. Kaya Yanar war drei Jahre vor "Wetten Dass" dein Gast, Otto Sander las Ringelnatz und Ben Becker zelebrierte eindrucksvoll, wie der Silversurfer auf der Lokomotive stehend seinen Kopf verliert. Diese Stars, wenn man heute mit denen redet, sind äusserst positiv auf die Rosenau zu sprechen, nicht unbedingt auf Stuttgart aber auf die Rosenau. Hängt das mit Ihrer Person zusammen?
Z
Die Rosenau hat sich sehr schnell einen überregionalen Ruf erworben. Ich gehe mit offenen Augen durchs Leben und habe Spass daran, Kontakte zu knüpfen und mit einem positiven Image lassen sich natürlich schnell Kontakte knüpfen. Wobei es nicht nur mir zu verdanken ist, dass die Künstler gerne in die Rosenau kamen, sondern auch einem guten Team, das eine fast familiäre Atmosphäre geboten hat.
H
Sie haben vorher angesprochen, dass es für die Leute auch eine verlässliche Grösse ist, wenn sie nach Jahren da wieder hinkommen und immer noch die selben Leute arbeiten. Sie gelten jetzt als kompetenter Fachmann, aber auch als Dickkopf, der bisweilen schwierig ist. Sind sie ein schwieriger Querkopf oder sind sie ein guter Chef?
Z
Ich bin sicher ein Querkopf, aber ich glaube kein schwieriger. Durchsetzungsvermögen braucht man in der Branche, aber ich kann auch zuhören und Kritik annehmen. Durchsetzungsvermögen brauche ich natürlich auch gegenüber meinen Mitarbeitern. Der Betrieb muss ja einer erkennbaren Konzeption folgen. Hektische Richtungswechsel können fatale Folgen haben und trotzdem setze ich auf Teamarbeit mit Hierarchie. Die Frage, ob ich ein guter Chef bin, kann also nur von meinen Mitarbeitern beantwortetet werden. Um noch mal auf den Querkopf zurückzukommen, es gibt Menschen die einer Weiterentwicklung nicht folgen können oder folgen wollen. Für mich persönlich war es ein logischer Schritt, nach der Kneipe und nach der Diskothek, ein Lokal aufzumachen. Ein Lokal, das sich erneut abgrenzt. Dieses Konzept mit Restaurant, Bar und Venue ist mittlerweile angekommen in Stuttgart. Vor zehn Jahren waren wir die ersten und haben somit eigentlich erneut einen Trend gesetzt.
H
Wenn Sie die letzten 10 Jahre mit der Rosenau noch mal Revue passieren lassen, haben Sie da nicht doch Lust weiterzumachen?
Z
Ich gehe Stuttgart nicht verloren. Es ist aber an der Zeit, sich nach Neuem umzuschauen. Das grösste Kapital, das ich aus der Rosenau mitnehme, sind meine Querverbindungen.
H
Eine Ihrer Initiativen war der lose Zusammenschluss der Stuttgarter Szenegastronomie. Der Gedanke war, gemeinsame Interessen von Machern gegenüber der Stadt Stuttgart auch gemeinsam vorzutragen. Das hatte für das "Amt für öffentliche Ordnung" und für den Ordnungsbürgermeister Beck weit reichende Folgen.
Z
Naja, vielleicht ist das wieder der Querkopf. Der grosse und mächtige Hotel- und Gaststättenverband bietet der schnelllebigen Szenegastronomie keine Heimat. Bei diesem von mir initiierten Zusammenschluss, ging es ganz eigennützig darum, Lobby-Arbeit zu betreiben und den Verwaltungsbeamten, sowie dem Gemeinderat ein gewisses Potential gegenüberzustellen. Darüber hinaus war mir aber auch wichtig, mit diesem Interessenverbund Konflikte und neidvolles Konkurrenzdenken aufzulösen, um gemeinsam sachlich und konstruktiv an der Weiterentwicklung der Landeshauptstadt zu arbeiten.
H
Wir haben Ihren Lebensweg vorhin erwähnt: landwirtschaftliche Lehre, Erfahrung in Berlin und Hamburg, Zivildienst. Sie sind so eine Art Self-Made-Man, ein Quereinsteiger ins Event- und Gastrobuisness nach dem Motto learning by doing. Sie haben eine harte Schule durchlaufen, haben auch Lehrgeld bezahlt, würden Sie es heute noch mal genau so angehen?
Z
Warum nicht? Es ist spannend, durchs Leben zu gehen und Erfahrungen zu sammeln. Im Laufe der Zeit stellt man fest, dass man sich das Eine oder Andere hätte sparen können, aber das ist eben besagtes Lehrgeld.
H
Jemand mit Ihrer Erfahrung und Ihrem Know-How empfiehlt sich ja jetzt auch für grössere Aufgaben. Muss es denn ausschliesslich die Kultur und die Kunst sein oder könnten Sie sich auch vorstellen das "6 Tage Rennen", einen Boxkampf oder ein grosses Open Air zu organisieren?
Z
Je vielseitiger die Aufgabe, desto interessanter.
H
Sie haben mal als eine Ihrer Stärken das kritische Interesse am Zeitgeschehen und am eigenen Lebensgefühl beschrieben. Was heisst das genau?
Z
Das heisst, dass ich Moden und Trends hinterfrage und mir manchmal überlege, wieviel Zeitgeist verträgt unsere Gesellschaft. Ein intaktes Familienleben ist für meine Kinder sicherlich wichtiger als die neueste Spielekonsole. Es sind eigentlich sehr wertkonservative Ansichten, die dabei eine Rolle spielen: meine Familie und ich sind gesund, wir leben in Frieden, wir haben genügend zu essen und ein Dach über dem Kopf; alles andere ist Luxus, den man erreichen kann aber nicht muss.
H
Was würden Sie in der Zukunft gerne machen?
Z
Meine Kernkompetenzen liegen im Bereich Veranstaltungen: Idee, Konzeption, Vorbereitung, Querverbindungen, Öffentlichkeitsarbeit, Umsetzung und Dokumentation. Ich liebe es Projekte zu entwickeln und zu begleiten. Ich denke, ich bin mittlerweile auch ein guter Verkäufer. Ich arbeite gerne mit Menschen zusammen. Meine Wunschvorstellung ist aktiv, gestalterisch und kreativ mitwirken zu können.
H
Ich hoffe Sie bleiben Baden-Württemberg erhalten und wünsche Ihnen alles Gute für die Zukunft.
Z
Vielen Dank!